| Sontag Henriette | soprano |
Sie war die Tochter des Schauspielers und Buffo-Sängers Franz Sontag (?1819), der durch einen Unfall während einer Aufführung von Cherubinis Oper "Lodoïska" in Berlin so schwer verletzt wurde, daß er seine Bühnenlaufbahn beenden mußte. Ihre Mutter, die Schauspielerin Henriette Sontag-Martloff (1789-1865) war in Mainz, Koblenz, Darmstadt und Prag engagiert, gab aber 1817 ihre Karriere auf, um sich ihren Kindern und namentlich ihrer berühmten Tochter Henriette zu widmen. Diese führte eigentlich den Namen Gertrud Walburga Sontag. Bereits mit sechs Jahren trat sie in Darmstadt in Kinderrollen auf, sie wirkte u.a. als Lilli im "Donauweibchen" von F.Kauer mit. Ihre Eltern nahmen sie auf einer Kunstreise nach Prag mit, wo man das Kind sehr bewunderte. Ihre Ausbildung zur Sängerin erhielt sie am Konservatorium von Prag, das sie bereits mit 13 Jahren besuchte. Ihre Lehrer waren dort der Kapellmeister Triebensee, der Pianist Pixis und die Gesangpädagogen Bayer und Frau Czezka. 1821 erfolgte in Prag ihr Bühnendebüt als Prinzessin in "Jean de Paris" von Boieldieu. 1822 kam sie nach Wien und erregte dort sofort größtes Aufsehen. Das Publikum bewunderte uneingeschränkt ihre Gesangskunst und huldigte ihr bald in einer bis dahin nicht für möglich gehaltenen Weise. Carl Maria von Weber hörte sie 1823 in Wien als Elena in "La Donna del Lago" von Rossini und war so begeistert, daß er ihr sogleich die Partie der Euryanthe in seiner neu komponierten Oper anbot. So sang sie am 25.10.1823 am Wiener Theater am Kärntnertor die Titelrolle in der Uraufführung von Webers "Euryanthe". Am Theater an der Wien trat sie als Pamina in der "Zauberflöte" auf. Am 7.5.1824 sang sie in der berühmten Akademie in Wien die Sopransoli in der Uraufführung von Beethovens 9. Sinfonie und von Teilen der Missa solemnis; Henriette Sontag war es, die den tauben Meister zum Publikum umdrehte, das in stürmische Ovationen ausbrach, die der ertaubte Beethoven nicht hören konnte. Den überaus schwierigen Sopranpart in diesen Werken hatte man für "unsingbar" gehalten, doch meisterte die Sängerin souverän diese Schwierigkeiten, vor allem die extrem hohe Tessitur. 1825 erschien sie am Opernhaus von Leipzig als Euryanthe, am Königstädtischen Theater Berlin (wo man ihr für eine Saison 5600 Taler zahlte) als Isabella in Rossinis "Italiana in Algeri", die sie dort in 40 Aufführungen wiederholte. 1826 hörte man sie in Paris, 1828 feierte sie ihre Triumphe in London; in beiden Städten wählte sie als Antrittsrolle die Rosina im "Barbier von Sevilla", die als eine ihrer größten Kreationen galt. Ihr Auftreten riß ihre Zeitgenossen zu einem wahren "Sontag-Fieber" hin. 1827 gastierte sie in Frankfurt a.M., Mainz und Weimar, wo sie von Goethe empfangen wurde, der sie seine "flatternde Nachtigall" nannte. An der Berliner Hofoper trug sie 1827 und nochmals 1830 Partien wie die Donna Anna im "Don Giovanni", die Susanna in "Figaros Hochzeit", die Rosina im "Barbier von Sevilla", die Myrrha im "Unterbrochenen Opferfest" von P. von Winter und die Euryanthe vor. In der Saison 1829-30 trat sie am Théâtre-Italien in Paris zusammen mit ihrer großen Rivalin Maria Malibran in den Rossini-Opern "Tancredi" und "Semiramide" auf, jedesmal unter riesigen Beifall für die beiden Primadonnen. Trotz all dieser Triumphe gab sie nach ihrer Heirat mit dem Grafen Carlo Rossi (?1864) ihre Bühnenkarriere auf. Der Graf, damals im diplomatischen Dienst des Königreichs Sardinien stehend, heiratete die Sängerin 1827 (zunächst geheim) gegen den Willen seiner Familie, weshalb der preußische König sie zur Freifrau von Launstein erhob. Als ihr Gatte Botschafter im Haag wurde, begleitete sie ihn 1830 dorthin. Sie lebte dann 1834-35 in Frankfurt a.M., 1835-37 wieder im Haag, 1838-43 in St. Petersburg, seitdem in Berlin, wo Graf Rossi als Gesandter tätig war. Aus dieser Ehe gingen vier Kinder hervor. Sie trat in Den Haag wie auch in Berlin und St. Petersburg noch gelegentlich in Hofkonzerten auf. Als jedoch das große Vermögen ihrer Familie durch die politischen Unruhen des Jahres 1848 dahinschwand, begann sie 1848 erneut ihre Sängerkarriere. Gastspiele führten sie jetzt wieder in die europäischen wie später auch in die nordamerikanischen Musikmetropolen. 1849 hatte sie bei einem Gastspiel am Her Majesty's Theatre London als Linda in Donizettis Oper "Linda di Chamounix" einen glänzenden Erfolg. Am 8.6.1850 sang sie am Her Majesty's Theatre in der Uraufführung der Oper "La Tempesta" von Halévy nach Shakespeares "The Tempest" die Partie der Miranda. 1850 gastierte sie in Paris, 1851 letztmals in London. 1851 unternahm sie ein triumphale Deutschland-Tournee mit Konzertauftritten und Gastspielen in München, Dresden, Hamburg, Frankfurt a.M., Hannover und Braunschweig. In München sang man bei einem ihrer Konzerte zum Schluß einen "Huldigungs-Chor", dessen Verse der bayerische Kronprinz geschrieben hatte, während die Musik von Franz Lachner stammte. Auch jetzt nahmen ihre Tourneen einen glänzenden Verlauf, doch erreichte ihre Karriere nicht mehr ganz die vorherigen Dimensionen. Im August 1852 reiste sie von Liverpool aus in Begleitung ihres Gatten und des Komponisten C.Eckert nach Nordamerika ab. Hier wurde sie mit Ehrungen überhäuft. Ihre Auftritte in New York, Boston, Philadelphis und zuletzt in Mexico City trugen ihr nochmals spektakuläre Erfolge ein. Erschöpft und abgehetzt durch ihre ruhelosen Gastspielreisen, erkrankte sie 1854 in Mexico City an der Cholera und starb. Noch sechs Tage vor ihrem Tod hatte sie dort als Lucrezia Borgia von Donizetti auf der Bühne gestanden. Ihrem letzten Wunsch entsprechend wurde sie in der Kreuzkapelle des Klosters Marienthal in der Lausitz beigesetzt, in dem ihre jüngere Schwester Nina Sontag (1811-79) als Zisterziensernonne lebte, die zuvor auch eine bedeutende Sängerin gewesen war.Henriette Sontags prachtvoll gebildete Stimme, die sie mit großem stilistischem Feingefühl einsetzte, ihr musikalischer Geschmack und der Charme ihrer ganzen Erscheinung lassen die großen Erfolge der Künstlerin begreifen. Der Stimmumfang reichte bis zum dreigestrichenen e, ihr Vortrag galt als faszinierend, ihre Technik als bravourös, so daß man sie allgemein als die bedeutendste Sopranistin ihrer Generation ansah und manche sie über die legendäre Angelica Catalani und über Maria Malibran stellten. Ihre großen Partien auf der Bühne waren die Donna Anna im "Don Giovanni" von Mozart, die Susanna in "Figaros Hochzeit", die Carolina in Cimarosas "Matrimonio segreto", die Titelfigur in Rossinis "Semiramide", die Rosina in dessen "Barbier von Sevilla" und die Amina in "La Sonnambula" von Bellini. Neben der glanzvollen Bühnenkarriere hatte Henriette Sontag eine nicht weniger große Karriere als Konzertsopranistin.Lit.: T.Gautier: "L'Ambassadrice" (Paris, 1850); H.Stümke: "Henriette Sontag" (Berlin, 1919); E.Pirchan: "Henriette Sontag" (1946); Fr. Russell: "Queen of Song; The Life of Henriette Sontag" (New York, 1964). |
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